Rest In Peace

Axel RIP 2023

Der große Unbekannte „Manne Chicago“

R.I.P.  06.02.2018  

(Nachruf von JS Strauss, Berlin, 20.03.2018.)

Es gibt Musiker in Berlin, wie Manne, die nach 60 Jahren immer noch völlig unbekannt sind. Und dies, obwohl sie ein oder mehrere Tage pro Woche im „Rampenlicht“ standen oder stehen. Aber es gibt Unterschiede beim Rampenlicht. Rote Funzeln, Pufflichter in einer Eckkneipe, sind keine Bühnen-Spots. Auch gibt es Unterschiede beim musikalischen Genre des Boogie Woogie und des Rock’n’Roll. Obwohl es mehr Gemeinsamkeiten gibt wie Aspekte die beide Genre trennen. Blendet man bei allen Weltstars des R’n’R die Band aus, schaltet das Rampenlicht aus, bleibt der Boogie Pianist übrig. Alle Boogie Pianisten versuchen sich an Great Balls Of Fire oder dergleichen Hits. Hits, die Millionen in die Kasse gespielt haben, ganz im Gegenteil zum Boogie. Seit den 50s waren selbst die Skiffle Typen und Studenten in Deutschland scharf auf Boogie. Boogie Pianisten sehen auch heute merkwürdig aus, tragen oft Bärte, lange Haare und keine Bühnengarderobe. No flashy Bling Bling, wie beim R’n‘R. Auch Manne passte in dieses Schema. Platte und Bart wie Kaiser Willy. Und dennoch. Die linke Hand des Boogie ist der Grundstein eines jeden Rock and Roll Songs! Seit den 1960er Jahren gab es vor allem zwei Typen, die in Berlin Boogie gespielt haben. Manne Chicago und Boogie Bernd. Beide sind außerhalb einer gewissen Szene völlig unbekannt.

Seit etwa Mitte der 1950er Jahre spielte Manne in diversen Tanzkapellen Saxophon. Musik seiner Zeit. 1958 war Manne in Berlin beim Konzert von Pete Johnson & Big Joe Turner. (Dies war eine Show, die seit Jahren durch Norman Granz auf Tournee ging, bekannt als „Jazz at the Philharmonic“. Hierzu gab es auch Platten.) Dies war eine Gelegenheit, um einen Pianisten des Boogie Trios Ammons-Lewis-Johnson live zu erleben. Für Manne wurde das ein Meilenstein. Je mehr er von dieser Musik genoss, desto mehr zog es Manne zum Boogie Woogie. Vor allem der Barrelhouse Boogie Style von J.H. Shayne (aka „Freddy“ vom Shayne Trio) hatte es Manne angetan. Da es keine Lehrkräfte oder Noten für solche Musik gab, brachte er sich das Klavierspiel autodidaktisch bei. Später nutzte er auch die Mundharmonika, bzw. die Blues Harp.

1978 wurde die Blues Cooperative Berlin (BCB) gegründet. Man wollte durch Kooperation und Informationsaustausch die Situation der Bluesmusiker in Berlin verbessern. Auch Manne wurde Mitglied. „Der Versuch die zersplitterte Berliner Bluesszene einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verlief aber nach wenigen Jahren im Sande.“ (Zitat aus dem Buch „Ich hab den Blues schon etwas länger“.)

In den 80ern saß Boogie Bernd oft am Klavier im Golden Fifties, in Tempelhof, und spielte Rock’n’Roll für die Teds, die Rock’n’Roller. Diese Eckpinte gibt’s schon lange nicht mehr. Damals hatte die Oranienstraße einiges zu bieten. Reden wir von Kreuzberg, hat sich alles verändert. Die Blues Garage in der Monumentenstraße gibt es noch. Auch das Yorkschlösschen hält sich wacker. Ebenso Speiche’s, in der Raumerstraße, im Prenzl. Boogie Bernd rockt seit vielen Jahren jeden Donnerstag im Reinickendorfer Kastanienwäldchen. Doch selbst auf der Homepage dieser Oldie Disco taucht nirgends Bernds Name auf, Bernd Seibt aka Boogie Bernd. Recherchiert man online zu den Bands in denen er spielt, findet man Bernd. Aber eine Homepage hat er nicht. Will er nicht, braucht er nicht. Ging 50 Jahre ohne. Auch Manne hatte keine „Site“.

Seit den 1980er Jahren habe ich gelegentlich mit Manne gejammt. Mehr als das ging nie. Keiner wusste genau wann und wo Manne auftritt. Sowas stand nie in der Zeitung. Und heute nicht im Internet; oder selten. Doch gab es viele einschlägige Kneipen wo man Blues und Boogie Woogie hören konnte. Eine lustige Zeit erleben konnte, wie bei Zickenschulzes Hochzeit. Wo man Boogie Kapazitäten treffen konnte. Sogar Axel Zwingenberger. Axel und Vince Weber waren die einzigen, die in den Medien Erfolg hatten. Und im Musikgeschäft. Viele Platten verkauften und in großen Konzertsälen spielten. Ich erinnere mich an ein Boogie Konzert in der HdK, heute UdK, etwa 1987/88. Gemeinsam mit einem Kumpel und Mitmusiker Leroy stampften wir mit den Füßen im Beat zum Piano Battle von Axel und Vince. Klatschten wild die Hände und verzückte Laute wie Mmh und Yeah sprangen aus unseren Kehlen. Leute die neben uns saßen baten mehrfach vergeblich darum, dass wir diese sinnlose Geräuschkulisse beenden. Ihr Argument sie hätten „Eintritt bezahlt, um etwas hören zu können“ bedauerte ich. Ich konnte denen ledig anbieten meine Faust in der Pause zu genießen, was hingegen diese Herrschaften spontan verstummen ließ.

Axel Zwingenberger holte Manne Mitte der 90er Jahre in die Hamburger Fabrik zur Boogie Nacht. Im Oktober 2013 erhielt Manne in Bremen den „German Boogie Award“ für „besondere Verdienste“.

Meine letzte Session mit Manne liegt bereits vier Jahre zurück, siehe YouTube Video. Und da hatte er mir gesagt, dass der Krebs ihn wohl bald holen wird. Mannes einziges Problem war die Zeit, bzw. The Beat, das Tempo. Aufgrund seiner Leidenschaft konnte oft aus dem traurigsten Bluesdrama der feurigste Rock’n’Roll werden. Tempo halten, mit der Zeit laufen, war nicht sein Ding! In Wilmersdorf ist fast alles noch beim alten. Manfred Skupsch aka Manne Chicago wohnte in der Auguste Viktoria Straße, unweit vom Hohenzollerndamm und dem kleinen Hubertussee. In einer ruhigen Ecke. Dort in Schmagendorf, auf der südlichen Seite vom Hohenzollerndamm, wurde er beerdigt am 27.03.2018, 12 Uhr, Friedhof Schmargendorf, Misdroyer Straße 51-53, 14199 Berlin. Manne starb im Alter von 79 Jahren und liegt nun neben seiner Frau Inge.

Abschiedsrede von Axel Zwingenberger. 27.03.2018, Photo: JS. Strauss
Beerdigung Manne Chicago, 27.03.2018. Photo: JS. Strauss

Der Pionier des Neo-Boogie, Vince Weber

R.I.P.  23.02.2020  

(Nachruf von JS Strauss, Berlin, 20.03.2018.)

26.10.1953-23.02.2020

(Nachruf von JS Strauss, Berlin, 17.03.2020.)

Durch meine frühe Leidenschaft an der Musik von Jerry Lee Lewis führte kein Weg vorbei am Boogie Woogie. In meiner Sturm- und Drangzeit leben nur noch wenige Legenden dieses Genre und so lag es nahe zu den Konzerten der aktuellen Stars zu gehen. Ab Mitte der 1980er Jahre spielte der Hamburger Vince Weber immer im „Flöz“, das für mich in Laufnähe lag, so dass ich regelmäßig dort war, wenn Vince spielte.

Für mich gab es zwei Pianisten, die nicht ausschließlich klassischen Boogie Woogie (oder R’n’R) spielten, sondern das Genre individuell verändert haben, etwas Neues kreiert haben. Vince Weber war einer von ihnen. (Klaus Debusmann der andere.)  Vince Debut-Album war zwar ein totaler Knaller, war aber im traditionellen Stil. Erst das zweite Album öffnete neue Wege. Subjektiv hat das keiner vor ihm gemacht, zumindest nicht in Deutschland. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und zwingt mich heute noch bei meiner eigenen Kreativität an meine Grenzen, um eventuell darüber hinaus zu wachsen. Wenn ich den Eindruck habe etwas verrücktes auf den Weg gebracht zu haben scheitert es meistens an meinen Mitmusikern die nicht mitziehen können oder wollen. Da hatte Vince Weber einen klaren Vorteil, da er in der Regel allein musizierte. Zu zweit allein mit seinem Klavier, Vince und der Boogie Woogie. Beachtenswert und beneidenswert.

Mit Leroy, dem Gitarristen meiner damaligen Band der „Sundowners“, war ich bei einer der damals beliebten Piano Battles von Vince Weber und Axel Zwingenberger in der HdK, heute UdK. Volle Hütte, aber wir beide waren mit Abstand die jüngsten Zuschauer im Konzertsaal. Wir saßen in der zweiten oder dritten Reihe, also recht nah an der Bühne. Bei „The Dirty Dozen“ gingen wir ab wie Schmids Katze, so dass sich alle Umsitzenden über uns beschwerten. Auf deren „wir haben Eintritt bezahlt, so wollen wir das jetzt hören!“ von mir beantwortet wurde mit „ich zahls euch gleich Heim, wenn ihr nicht Ruhe gebt“. In der Pause gingen mir diese Herrschaften ängstlich und flott aus dem Weg, so dass wir zügig zu unserem Bier an der Theke kamen. (siehe auch oben, bei Manne Chicago)

Mitte der 1990er Jahre hab ich ihn ein mal gebucht, für den Tränenpalast, in Berlin Mitte. Ich hatte Vince vom Flughafen TXL abgeholt. Auch die Show lief prima, aber beim anschließenden Sightseeing ist er ausgetickt, so dass ich ihn am Brandenburger Tor eigentlich seiner selbst überlassen wollte. Franz de Byl, der ebenso im Auto saß, schlichtete.

Wie Manne Chicago (vor zwei Jahren) ist Vince im Februar verstorben.

Merkwürdigerweise habe ich damals alles von den Amerikanern gesammelt und ggf. auch archiviert. Aber dass ich nichts von den regionalen Künstlern habe, außer die Schallplatten, ist rückblickend doch merkwürdig. Zum Beispiel habe ich alle Nase lang Coco Schuhmann gesehen, aber dennoch kein einziges Foto mit ihm. Man saß halt oft in kleiner Gruppe beisammen und hörte zu oder erfreute sich an einem gelegentlichen Dialog mit dem Künstler. So war das auch mit Vince. Ich habe ihn unzählige Male im Flöz gesehen, immer nach der Show gesprochen. Im Anschluss sind wir manchmal durch die wenigen Kneipen der Blues-Szene in Berlin gezogen. Doch fotografiert oder gar gefilmt wurde nie. Was bleibt sind die Erinnerungen! Und die Platten! Vinyl Freaks 4 ever!